18.10.2019
Die Menschen werden immer älter und der Anteil der Generation 55+ an der Gesamtbevölkerung wird deutlich steigen. Dies wird in der Öffentlichkeit jedoch hauptsächlich als Problem thematisiert. Wenig diskutiert werden dagegen die großen Chancen, die sich dadurch ergeben. Dazu gehört u.a. das Potenzial für die Wirtschaft, sowohl als Arbeitskräfte, als auch als Konsumenten. Genau über diese Chancen des demografischen Wandels haben OÖ Seniorenbund und Wirtschaftsbund OÖ am 17. Oktober 2019 im Rahmen einer Dialogveranstaltung mit Experten diskutiert.
Seniorenbund Landesobmann LH a.D. Dr. Josef Pühringer:
Spricht man von Senioren sind damit – auch noch in der Gegenwart – gewisse Assoziationen verbunden: Letzter Lebensabschnitt, Ende des Lebens mit vielen Beschwerden, Pflege. Senioren werden oft als eine Gruppe gesehen, die Hilfe braucht, die der Bevölkerung und dem Staat schwer auf der Tasche liegt, um die man sich kümmern muss und die versorgt werden muss.
Dieses Bild entspricht aber nicht mehr Realität – hier ist ein Paradigmenwechsel angebracht – „Senior sein“ muss neu gedacht werden. Denn die „Alten“ von heute und morgen sind nicht die „Alten“ von gestern (keine Veteranen). Die „Alten“ gibt es nicht mehr – es gibt die 60 bis 75-Jährigen, die 75 bis 85-Jährigen und die Hochbetagten über 85. Und die Senioren von heute sind vital und aktiv.
Zudem ist die Generation 60+ mittlerweile – auch quantitativ – ein wesentlicher Teil der Gesellschaft.
Entwicklung der Altersgruppe 60+ in Oberösterreich 2018-2050:
Jahr | 60+ gesamt | % der Bev. | WB 60+ | % der WB |
2018 | 366.174 | 24,7 % | 350.890 | 31,9 % |
2020 | 383.688 | 25,7 % | 366.192 | 33,4 % |
2030 | 476.495 | 30,8 % | 447.212 | 40,9 % |
2040 | 514.279 | 32,6 % | 479.672 | 43,8 % |
2050 | 545.293 | 34,2 % | 503.547 | 46,9 % |
(Quelle Abt. Statistik Land OÖ, WB = Wahlberechtigte)
Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf alle Gesellschaftsbereiche nicht nur, wie häufig angenommen, auf die Bereiche Gesundheit, Pflege und Pensionen.
Laut Statistik Austria kommt ein Drittel aller Ausgaben im privaten Konsum von der Generation 60+. Die logische Konsequenz daraus: die Wirtschaft muss die Senioren noch mehr als neue Zielgruppe entdecken.
In der Freizeitwirtschaft etwa nehmen Senioren heute eine völlig neue und sehr zentrale Position ein. Ein Beispiel dazu aus dem OÖ Seniorenbund: Jährlich nehmen 4.000 bis 5.000 Personen an Reisen teil, die die Landesleitung des Seniorenbundes veranstaltet. Die Ortsgruppen des Seniorenbundes veranstalten jedes Jahr rund 3.500 Ein- und Mehrtagesfahrten.
Auch in den Bereichen Neue Medien und Bildung ist die Generation 60+ eine wichtige Zielgruppe, denn die Senioren sind ins Internetzeitalter aufgebrochen – wenngleich die Aktivitäten hier noch stark vom Alter und persönlichem Interesse abhängen. Dieser Bereich ist aus der Sicht des OÖ Seniorenbundes eine große Herausforderung, denn es werden Zeiten kommen, in denen Bankverkehr, Einkaufen, öffentlicher Verkehr, etc. im Wesentlichen übers Internet funktionieren. Von Seiten des Seniorenbundes gibt es hier bereits Angebote, um die Generation 60+ digital fit zu machen.
Was für diese Bereiche gilt, gilt für alle Wirtschaftszweige – sie werden sich noch intensiver auf die Wünsche und Bedürfnisse der Generation 60+ einstellen müssen.
Das Anliegen des Seniorenbundes: Es braucht in der Regel keine extra Senioren-Angebote, sondern es geht darum, dass die Senioren als Teil der Gesellschaft begriffen und gesehen werden und, dass das Gesamtangebot in den jeweiligen Wirtschaftsbereichen die Senioren mitdenkt. Eine Sonderstellung würde die älteren Menschen nur wieder ins falsche Licht rücken.
Eine Umfrage im Auftrag von Seniors4success im letzten Sommer hat gezeigt, dass zwei von drei Österreichern in der Alterspension arbeiten möchten. Allerdings muss, wer sich in der Pension etwas dazuverdient ebenfalls Pensionsbeiträge zahlen und zwar rund 20%. Zwar werden die Beiträge auf die Pension angerechnet, führen aber nur zu einer marginalen Erhöhung der Bezüge, was in keiner Relation zu den eingezahlten Beiträgen steht.
Der OÖ Seniorenbund fordert daher von der neuen Bundesregierung eine rasche Streichung der Pensionsbeiträge für jene, die in der Alterspension noch arbeiten möchten. Senioren können einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung des Fachkräftemangels leisten, denn mit der Pensionierung geht oft auch viel Wissen und Know-how „in Pension“.
Wirtschaftsbund Landesobfrau Präs. Mag. Doris Hummer:
Der demografische Wandel und seine Folgen werden oftmals als eine Herausforderung gesehen, die unsere Gesellschaft zu überfordern droht. Diese Entwicklung sollte aber vielmehr als eine Chance wahrgenommen und die sich neu ergebenden Möglichkeiten aufgegriffen werden.
Es ist unbestritten, dass die demografische Entwicklung den Arbeitsmarkt in Oberösterreich zunehmend beeinflusst. Mit dem Rückgang des Arbeitskräfteangebots ändert sich auch die Altersstruktur der Erwerbspersonen deutlich. Derzeit dominieren noch die Babyboomer der späten 50er und 60er Jahre den Arbeitsmarkt. Durch das Nachrücken der Babyboomer ins höhere Erwerbsalter sowie durch die Annahme zukünftig stark steigender Erwerbsquoten jenseits des 55. Lebensjahres, wird die Zahl der älteren Erwerbspersonen in den nächsten Jahren deutlich zunehmen.
Die Generation 55+ spielt daher insbesondere beim aktuellen Fachkräftemangel eine wichtige Rolle und könnte diesen durch eine längere Beschäftigungsdauer lindern. Dafür bedarf es jedoch einer Änderung der bisherigen Rahmenbedingungen, zum Beispiel im Bereich der Lohnnebenkosten.
Fast 80% der oö. Betriebe sind bereits akut vom Fachkräfte-Engpass betroffen. Alleine in Oberösterreich fehlen bereits 30.500 Fachkräfte. Sechs von zehn Unternehmen verzeichnen bereits Umsatzeinbußen, weil sie Liefertermine nicht einhalten oder Aufträge gar nicht annehmen können.
Nach Prognosen des oö. Fachkräftemonitors wird die Zahl bis 2030 auf 127.000 Fachkräfte ansteigen. Der Fach- und Arbeitskräftemangel ist für Oberösterreichs Betriebe aktuell und in den nächsten Jahren die eindeutig größte Herausforderung.
Diese Problematik wird sich noch weiter verschärfen, da sich die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage an qualifizierten Mitarbeitern stetig vergrößert. Dem oö. Arbeitsmarkt werden aufgrund des demografischen Wandels in den nächsten 12 Jahren um 7 % weniger Personen – das sind über 56.300 Personen – im haupterwerbsfähigen Alter zur Verfügung stehen.
Aktuell steht einer Rekordbeschäftigung von 99.209 Personen in der Altersgruppe 55+ im September 2019, eine, bedingt durch die demografische Entwicklung, überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit gegenüber. So waren im September 2019 knapp 21 % der Arbeitslosen in Oberösterreich älter als 55 Jahre, das entspricht 6.240 Personen.
Aufgrund dieser Entwicklungen wird es zukünftig für die oö. Betriebe umso wichtiger sein, die Mitarbeiter möglichst lange im Unternehmen beschäftigen zu können. Drei Trends sind in diesem Zusammenhang festzuhalten:
Betriebe schätzen bei älteren Arbeitnehmern neben der Expertise und Erfahrung, deren Kommunikation mit den Kunden sowie deren hohe soziale Kompetenz. Sinkende Leistungsfähigkeit, abnehmende Flexibilität und zunehmende Krankenstände stellen dagegen eine Herausforderung dar.
Um das Ziel einer längeren Beschäftigung zu erreichen, gibt es mehrere Stellschrauben. Die wichtigste ist wohl eine umfassende Lohnnebenkostensenkung bei den Beschäftigten 55+. Diese wäre von besonderer Wichtigkeit, da
Konkret bedeutet dies die Streichung der Beiträge zur Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung, zum Familienlastenausgleichsfonds und zum Insolvenzentgeltsicherungsfonds bei Beschäftigten ab 55+.
Durch eine längere Beschäftigungsdauer in der Altersgruppe 55+, würde sich zudem eine Win-Win-Win-Situation ergeben:
Durch die Umsetzung der angeführten Maßnahmen, könnte das bestehende Potenzial der Generation 55+ für die Wirtschaft auch tatsächlich gehoben werden.
FH-Prof. Dr. Robert Zniva:
Die Weltbevölkerung altert in einem noch nie dagewesenen Ausmaß. Es handelt sich hierbei um einen graduellen und langsamen Veränderungsprozess, der über die nächsten Jahrzehnte die Altersstruktur unserer Gesellschaft erfasst. Österreich wird 2050 gemeinsam mit Deutschland und der Schweiz zur ältesten Region Europas gehören, dann ist jeder Dritte innerhalb dieses Gebietes zumindest 65 Jahre oder älter (Vienna Institue of Demography 2012).
Neben diesem Wachstum zeichnet sich die Zielgruppe der älteren Konsumenten auch durch eine durchschnittlich gute finanzielle Ausstattung aus. So stieg z.B. das persönlich frei verfügbare Einkommen der 65 bis 85-Jährigen in Deutschland von 2013 bis 2017 um 20 Prozent (Generali 2017). Auch in Bezug auf das Kauf- und Konsumverhalten unterscheidet sich die ältere Bevölkerungsgruppe heutzutage von ihren Vorgängern. Im Gegensatz zur „Nachkriegsgeneration“ setzen ältere Personen heutzutage weniger auf „Sparsamkeit“ und „Bescheidenheit“.
Aufgrund dieses Wachstums und der durchschnittlich positiven finanziellen Ausstattung, gepaart mit einer gestiegenen Konsumfreude, ist die Erforschung der Bedürfnisse älterer Konsumenten von Bedeutung. Einerseits stellt sich die Frage, wie man mit älteren Konsumenten kommunizieren sollte, andererseits wollen viele Unternehmen wissen, ob man Produkte und Dienstleistungen der Zielgruppe der älteren Konsumenten entsprechend anpassen soll. Hierbei ist vor allem entscheidend den Status des Alters nicht nur als Jahreszahl zu verstehen. Alter ist mehr als z.B. 1950 geboren zu sein. Es ist ein biologischer, psychischer und sozialer Zustand, welcher auch von historischen und geografischen Umwelteinflüssen bestimmt wird. Dementsprechend gibt es nicht den typischen 60-Jährigen oder die typische 75-Jährige, was die generelle Bearbeitung dieses Segments erschwert.
Was die Kommunikation mit älteren Konsumenten betrifft, zeigen die Ergebnisse, dass chronologische Altersgrenzen zu vermeiden sind. Gerade Personen rund um eine bestimmte Altersgrenze (z.B. 50+) nehmen Angebote, die mit einer solchen Grenze kommuniziert werden nicht an, da sie sich mit der Altersgruppe noch nicht identifizieren. Auch alternative Begriffe wie „Best Ager“ sind nicht empfehlenswert und können negativ wahrgenommen werden.
Es gibt aber altersbedingte Bilder mit positiver Konnotation (wie z.B. der Pensionist). Diese können, richtig eingesetzt, diese positive Konnotation hervorrufen und eignen sich daher gut für die Kommunikation.
Bezüglich der Frage ob es notwendig ist, Produkte und Dienstleistungen eigens für ältere Personen zu designen, muss genau die jeweilige Zielsetzung der geplanten Veränderungen betrachtet werden. Zielt man mit seiner Leistung auf ein Nischenpublikum ab (z.B. Menschen mit altersbedingten Gesundheitsproblemen), kann eine offensichtliche Adaption des Angebotes sinnvoll sein (z.B. das speziell für Notrufe designte Mobiltelefon oder der Treppenlift). Will man jedoch einfach den älteren Konsumenten als Gesamtes ansprechen, sollte man zwar auf altersbedingte Bedürfnisse eingehen, diese aber auf eine universelle für alle Altersgruppen vorteilhafte Weise bearbeiten. Dies führt gewöhnlich zu einer sparsamen und konservativen Veränderung der Produkte und Dienstleistungen für den älteren Konsumenten. So sollte man z.B. in einem Supermarkt statt Lupen anzubringen einfach Informationen und Preise gut lesbar für alle abbilden. Man verhindert dadurch eine Stigmatisierung jener, die diese Lupen benötigen und sich als sehbehindert outen müssen und gleichzeitig bekommen all jene ohne Sehbehinderung nicht das Gefühl in einem „Senioren-Markt“ einzukaufen. In den vorherrschenden gesättigten Märkten können genau diese „feinen“ Veränderungen den Ausschlag zugunsten eines bestimmten Anbieters bedingen.
Sandra Siedl, BA MA:
Die mit dem demografischen Wandel einhergehende Alterung der Bevölkerung beschäftigt die Unternehmenspraxis, nicht zuletzt da sich das verfügbare Arbeitskräftepotenzial über die nächsten Jahre insgesamt verringern wird und zunehmend mehr Personen der Altersgruppe 50+ der Erwerbsbevölkerung angehören. Aktuelle Prognosen gehen dahin, dass die Generation 50+ schon bald die zahlenmäßig größte Gruppe erwerbsfähiger Personen in Österreich darstellen wird. Eine gestiegene Lebenserwartung und ein verstärkt bemerkbarer Trend zur bewussten und aktiven Lebensgestaltung sowie zur persönlichen Agilität und Vitalität bieten hierbei auf betrieblicher Ebene vielfach Potenziale und Chancen. Deren Erschließung setzt jedoch die Abkehr bzw. ein Aufbrechen von etablierten, vielfach überholten Altersbildern und damit verbundenen stereotypisierenden Zuschreibungen voraus, die sich mehrfach noch am Defizitmodell des Alterns orientieren.
Da sich menschliche Fähigkeiten und die physische Leistungsfähigkeit im Lebensverlauf in unterschiedliche Richtungen verändern, kommt es letztlich darauf an, Arbeit so zu gestalten, dass individuelles Leistungsvermögen (u.a. körperliche Verfassung, Kompetenzen, Motivation) und die Anforderungen des Arbeitsplatzes einander entsprechen. Der Erhalt und die Förderung der Arbeitsfähigkeit bedingen aus diesem Verständnis heraus und angesichts altersbedingt veränderter Leistungsvoraussetzungen dabei entsprechende Rahmenbedingungen und Gestaltungsmaßnahmen im beruflichen Umfeld.
Das FFG geförderte Forschungsprojekt EnableMe 50+ setzt hier an und widmet sich der Frage, wie eine methoden- und technologiegestützte Befähigung von Beschäftigten der Altersgruppe 50+ in Unternehmen und spezifisch für den produktiven Arbeitsbereich systematisch erfolgen kann. Das Institut für Arbeitsforschung und Arbeitspolitik und das Institut für Innovation und Industrie Management (IIM) der TU Graz haben dazu ein praxisnahes und handlungsanleitendes Instrument entwickelt, das für eine alter(n)sgerechte Gestaltung von industriellen Arbeitsplätzen sensibilisieren soll und die Ausgangsbasis potenzieller Lösungsansätze darstellt. Darüber hinaus wurden im Projekt EnableMe 50+ verschiedene Möglichkeiten erarbeitet, wie den potenziell veränderten Bedürfnissen alternder Belegschaften durch Methoden und Technologien in der Arbeitssystemgestaltung Rechnung getragen werden kann.
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